Kontaktstudium Kunstgeschichte:
Wege in die Moderne – Kunstgeschichte in Bausteinen

II. Architektur und Monument im 19. und 20. Jahrhundert (WS 2007/08)

 

3. Sitzung 5.12.2007

Parkarchitektur: gestaltete Natur vom ästhetischen Erfahrungsraum zur großstädtischen Freizeitsphäre

 

Teil 1: Der Landschaftspark von Wörlitz

 

Der Wörlitzer Park ist wesentlicher Bestandteil des „Dessau-Wörlitzer Gartenreiches“, das in der letzten Hälfte des 18. Jahrhunderts durch Fürst Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (1740–1817) geschaffen wurde. Er ist das wohl am besten gelungenste Beispiel des englischen Parkmodells auf dem europäischen Kontinent.  In England entstand, ausgehend von einem geänderten Naturempfinden sowie von der Abneigung der barocken Gestaltung französischer Gärten, um 1730 herum eine landschaftsähnliche Parkanlage (zuerst vom Maler W. Kent realisiert), die u.a. geprägt war durch asymmetrisch verlaufende Wege und solitäre Baumgruppen.

Diese englischen Parklandschaften lernte Fürst Leopold III. als junger Mann in Begleitung von F.W. von Erdmannsdorff auf einer ausgedehnten Reise kennen und setzte die neuen Ideen nach seinem Regierungsantritt (1758) im Rahmen einer durchgreifenden Umgestaltung seines Kleinstaats Anhalt-Dessau durch. Geprägt durch die Schriften der Aufklärung sowie durch persönliche Kontakte zu wesentlichen Vertretern derselben, z.B. Jean-Jacques Rousseau, befreite er sich von den Zwängen seines Standes und machte eine rational aufgeklärte Lebensphilosophie zu seiner Richtschnur. Als Beispiele für die Umwandlung von Anhalt-Dessau in ein Musterland seien genannt: die Verbesserung des Erziehungswesens (Gründung des Philantropinums unter der Leitung von Basedow); Einrichtung einer Armen- und Krankenpflege; Erneuerungen in der Landwirtschaft; Bau von mit Obstbäumen berandeten Straßen.

Weit über seine Zeit hinaus und bis heute sichtbar hinterließ er mit seiner "Landschaftsverschönerung" eine einmalige Denkmallandschaft, die im Jahr 2000 von der UNESCO in das Verzeichnis des Weltkulturerbes aufgenommen wurde. Der Wörlitzer Park wurde ab 1764 angelegt und in den darauf folgenden vier Jahrzehnten erweitert und verändert. Er besteht aus fünf, der historischen Entwicklung folgenden Bereichen, von denen zwei nach den beiden großen Gärtnern des Parks ( J.C. Neumark und J.L. Schoch) benannt wurden. Der Park ist ein sorgfältig komponiertes Miteinander von Ideallandschaft und Architektur (Häuser und Brücken) – nichts wurde dem Zufall überlassen. Auch die z.B. durch Elb-Hochwasser entstanden Auskolkungen wurden zu Seen und Kanälen umgeformt, der anfallende Erdaushub in Form von Hügeln in die Kunst-Landschaft integriert. So entstanden drei größere durch Kanäle miteinander verbundene Wasserflächen (Wörlitzer See, Großes Walloch, Kleines Walloch), deren Inseln und Uferbereiche durch Bauwerken und Skulpturen bereichert werden.

Von diesen Gebäuden seien beispielhaft genannt: das Schloss (Gründungsbau des Klassizismus in Deutschland, durch Palladiobauten beeinflusst, 1773, Erdmannsdorf); das Gotische Haus (bedeutendes neugotisches Bauwerk, einzelne Teile nach verschiedenen Vorbildern erbaut); der Floratempel (in Anlehnung an Clitumnustempel, Spoleto); der Venustempel (dorischer Sandsteinmonopterus, nach dem Vorbild der Rotondo [Stowe, Kent], in der Rotunde Kopie der Venus von Medici); Pantheon (Vorbild: Rom sowie Chiswick, England); die Eiserne Brücke (erste eiserne Brücke Deutschlands, 1791, verkleinerte Nachbildung der eisernen Severn-Brücke); die Insel Stein (dicht gedrängte Kunstlandschaft mit Italien-Erinnerungen, insbesondere mit nachgebildetem – Feuer speienden – Vesuv und Miniaturnachbau der Villa Emma von Hamilton ); die Synagoge (Vorbild: Hercules-Victor-Tempel, Rom); die Rousseau-Insel (Nachbildung von Rousseaus Grabstätte in Ermonville). Alle Bauwerke sind in die Landschaft und in die Natur eingebettet und ergreifen nicht Besitz derselben.

Die Gartenteile, die Inseln, die Skulpturen, die Bauwerke, die Baumgruppen, alle Bestandteile des Parks sind über eine Vielzahl von Sichtachsen – von verschiedenen Punkten strahlenförmig ausgehend oder sich kreuzend – miteinander verbunden. Nach jeder der vielen Wegbiegungen bietet sich ein anderes Erlebnis der gestalteten Landschaft, eine andere Raum-Komposition, jeweils aufgebaut wie ein gemaltes Landschaftsbild mit sorgfältig aufeinander abgestimmtem Vorder-, Mittel- und Hintergrund (z.B. vorne eine kleine, aber dominante Vase, dann ein leicht gekrümmter Wasserlauf, und im Hintergrund der Turm der Kirche) – das Ganze als Anleitung zum Sehen zu verstehen.

Die Idee und die Gestaltung des Wörlitzer Parks, der – anders als in England – von Anfang an der Öffentlichkeit frei zugänglich war, ist ganz aus dem Gedankengut des Zeitalters der Aufklärung heraus zu deuten und in Zusammenhang zu sehen mit der Neuentdeckung der Natur. In voller pädagogischer Absicht wird eine begehbare Enzyklopädie, ein Panorama der alten und der (damals) modernen Welt sukzessiv über das Gelände verteilt, aufgeschlagen in immer neuen Kapiteln, die aber (durch die Sichtachsen) mit Verweisen zu schon Bekanntem versehen sind. Kleine Gruppen von Spaziergängern (aller Stände) sollen, nie auf direktem Weg, sondern immer nach dem Prinzip des Umwegs, das Erlebnis der Raumerschließung erfahren und sich dabei auch gegenseitig als mögliche Bestandteile dieses "utopischen Postulats" ("so könnte es sein") wahrnehmen.

Im Wörlitzer Park als begehbarer Landschaft ist ein großer Teil des zu seiner Entstehungszeit gültigen Bildungskanons zusammen getragen worden - der nun über zweihundert Jahre alte Park macht uns auch heute diese Bildungswelt noch genussvoll erfahrbar.

 

 

Jörg Beleites

8.12.2007

 

Hinweis: Auf der Internet-Seite  www.Joerg-Beleites.de/Sonstig/Woerlitz.htm   
             finden sich einige Links zum Thema sowie zu Fotos des Parks.

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